Fotos von Otto Oetz aus Valparaiso (Chile)

20-12-2008



Auf dem Weg nach Valparaiso





Passaje Pierre Loti auf dem Cerro Concepción.

Das letzte Haus links hinter dem grünen Strauch ist meine Herberge. Ein ruhiger, friedlicher Ort. In der Passage vor den Häusern streunen Katzen und gestern saßen alte Menschen vor einem der Häuser: anscheinend ein Altersheim.

Es sind 100 m bis zum Aufzug Concepción, dem ältesten der Stadt. Es sind noch die ursprünglichen Kabinen von 1883. Mit dem Aufzug geht es hinunter zum Hafen. Ein ideales Transportmittel, zwei Kabinen an einem Seil. Wenn die Kabine unten voll ist, wird das Gerät in Gang gesetzt. Die oben haben keinen Einfluss oder auch nur Einblick in das Geschehen. Sie setzen sich in die Kabine und warten. Irgendwann schließt sich die Türe, ein heftiger Stoß und die Kabine setzt sich ratternd in Bewegung. Bezahlt wird unten beim Ein- oder Ausstieg.























Der erste Bummel durch das Viertel rund um die Herberge: Straßen, Treppen, Flohmarkt mit schnellem Kredit und Graffiti.





Und mehr Fotos aus Valparaiso:
Graffiti auf dem Cerro Concepción:


















Und die Geschäftsstraße unterhalb des Cerro Concepción:








Der letzte Blick am Abend. Dieses rosarote Licht liegt den ganzen Tag über der Bucht und den Bergen. Am Abend wird es intensiv. Allerdings: auch Smog hat seinen ästetischen Reiz.

Nachtrag am 22. Dezember: Ich war heute in Santiago: Bummel durch das Stadtzentrum und Besuch bei Sergio Cruz Barriga, einem Freund von Werner und Majo Göbels. Hier nur dies: dieses Licht liegt auch über Santiago und den ersten Bergen der Anden.

26. Dezember
Nach dem wirklich ordentlichen Frühstück setze ich mich an die Maschine, um zu notieren, was in den letzten Tagen war. Das Frühstück heute morgen in allen verfügbaren Sprachen, aber schön eine nach der anderen, und das ging: ein Franzose, zwei Deutsche und die englisch sprechende Familie, die gestern den ganzen Abend das gemeinsame Bad blockiert hat, aus Südafrika, und der Wirt natürlich. Lebenskünstler: der Franzose aus Savoyen ist Elektriker, arbeitet ein paar Monate in Annecy oder in Kanada (abwechselnd) und reist dann in den restlichen Monaten des Jahres. Herrliche Unabhängigkeit.


Also mein Leben Valparaiso, diesmal rückwärts erzählt.

Gestern (25. Dezember) war ich in Isla Negra, um das Haus des Dichters zu sehen (la Casa del Poeta; es gibt nur einen: Pablo Neruda). Ich hätte es ahnen müssen, in Valparaiso war kein Laden und keine Kneipe auf, ungewöhnlich in einem Land, das Sonntage und Feiertage sonst nicht kennt. Weihnachten! In Isla Negra war denn auch alles zu, das Dichterhaus nur vom Strand aus überhaupt zu sehen, denn es ist von einem hohen Palisaden umgeben. Blieb also der Strand, den ich mit wenigen anderen teilte, und der Dichter in Strein gehauen und auf einen Felsen geklebt.

Felsen, Sand und die hohen Wellen des Pazifik, himmlisch. Vorher traf ich eine Musikerfamilie aus Limburg; wir tranken einen Kaffee zusammen. Auch das gibt es: zu dritt für zwei Wochen in Chile. Alle Hotels vorbestellt, der Leihwagen auch. Und kein Schimmer von der Landessprache. Sie schwärmten von Vera Cruz; ich stelle mir so was vor wie das Rüdesheim Chiles.

Am Abend suchte ich noch ein Restaurant 'Hamburg', hier in der 'Unterstadt', in dem es Sauerbraten oder ähnliches geben soll, um ein Bier zu trinken. Ich habe das Lokal nicht gefunden; wahrscheinlich war es geschlossen. So blieb mir die halbe Flasche Wein, die noch in meinem Zimmer stand und ein Telefonat nach Lima über Skype. Das war denn auch ganz schön.










Die Blumen am Strand und in den Gärten entschädigten für die Enttäuschung mit dem geschlossenen Museum: Disteln im Sand, eine Blume, deren Namen ich nicht kenne am Wegesrand, an den Zänen Geranien, bis zu zwei Metern hoch.



An Baden war nicht zu denken, bei dem Wellengang. Weil ich auf Kultur aus war, hatte ich sowieso keine Badehose dabei. Es war genug, den Wellen zuzuschauen.









Neruda hatte drei Häuser: das in Isla Negra, eines in Valparaiso, und eines in Santiago. Alle zeugen von seiner Sammlerphatasie bzw. -energie. Das Haus in Valparaiso habe ich am 27. Dezember besucht. Es ist verschachtelt, drei Stockwerke hoch, an den Hang geklebt. Valparaiso im Kleinen.


Vorgestern (24.Dezember) in einem kleinen Ort etwas 50 km nördlich von Valparaiso

Aber diese Geschichte beginnt schon am Tag zuvor.

Also: Eine Freundin Anuschkas hatte nach einem Aufenthalt in Chile Hernan geheiratet. Sie lebt lange schon in der Schweiz... wie das Leben es so einrichtet. Aber alle ihre Freundinnen hatten Hernans Familie hier besucht und ich hatte Hernan in Köln und in der Eifel kennen gelernt. Also war ein Besuch unvermeidlich. Ich hatte eine vage Adresse (irgendwo in der Region) und eine Telefonnummer, die nicht mehr funktionierte. Wie also die Familie in Cañon de San Pedro finden? In Valparaiso kannte niemand den Ort. Google half: Er liegt in der Mitte zwischen Limache und Quillota. Damit waren wichtige Koordinaten gegeben, denn nach Limache gibt es sogar so etwas wie eine S-Bahn mit Busanschluss nach Quillota. Also konnte ich mich auf den Weg machen. Nach fünfviertel Stunde war ich in Limache. Erst kannte auch dort niemand den Ort; ein Taxifahrer konnte mir Auskunft geben. Ein Bus sollte in die Richtung fahren. Irgend sagte mir dessen Fahrer dann, hier müsse ich aussteigen. Ich fand mich an einer Straßenkreuzung wieder, ein Schild: San Pedro 1 km. Wo aber war dieses Cañon de San Pedro? Glücklicherweise tauchte eine Frau auf. Sie wartete auf den Bus, der vorbeikommen sollte und der tatsächlich nach diesem Cañon fuhr. Endstation kurz hinter dem gesuchten Haus, das ich dann nach einigem Nachfragen auch fand. Großes Hallo, Freude auf Seiten von Hernans Eltern, Nach und nach kamen Bruder und Schwester vorbei, am Ende auch Hernan. Der war auf einer Beerdigung und ließ für kurze Zeit den Sarg ohne ihn seinen Weg gehen, musste aber schnell wieder weg. Dann war ich für ein paar Stunden auf den über achtzigjährigen Großvater verwiesen. Das war mühsam, denn er sprach ganz leise, ohne den Mund zu öffnen... Ich habe viel geraten in der Zeit und immer wieder mal 'ja' gesagt, auch mal eine Frage gestellt, als ob ich was verstanden hätte. Am Ende noch ein Abendessen und die Einladung zum Grillfest am nächsten Tag. Ein Besuch in Hernans Haus wurde auf den nächsten Tag verschoben.

Also bin gestern noch einmal dort gewesen. Das Grillen fand am Nachmittag statt, es war eine Art Betriebsfeier für die Angestellten der Gärtnerei, die von Hernans Familie betrieben wird. Die Tafel war in der Scheune aufgebaut, in der bis kurz zuvor noch Kisten mit Papikaschoten gefüllt worden waren. Alles sehr war sehr ländlich, bäuerlich, herzlich. Hab viel Fleisch gegessen, Rotwein getrunken und mich wohlgefühlt.

Anschließend zeigte mir Hernan noch sein Haus. Es liegt weitab im Feld, idyllisch. Frau und Kind (Margareta und Simon) hatte ich schon kennen gelernt. Es gab das erste politische Gespräch, das ich in Chile hatte. Eigentlich seltsam in diesem Land und allem, was sich mit ihm verbindet, Touristenschicksal. Die Familie ist insgesamt in der Kommunistischen Partei organisiert, hat auch eine Widerstandsvergangenheit; der Vater war nach dem Putsch für kurze Zeit im Gefängnis gewesen. Ich nahm nach dem Abschied ein Exemplar der Wochenzeitung mit und las auch zum ersten Mal Politisches. Das ist alles noch sehr oberflächlich und bleibt zu vertiefen. Es war ein schöner Tag. Dank den Guzman Sazo in Cañon de San Pedro.

28-12-2008





An drei Tagen nach Weihnachten feierte Valparaiso Karneval. Grandios, wenigstens dem Anspruch nach kultureller Karneval, auf Kölner Verhältnisse übertragen, eine Mischung aus richtigem Karneval, Ringfest und literarischen, theatralischen, folkloristischen Versatzstöcken.

Am ersten Abend (Freitag) nacheinander drei Bands auf der Plaza Sotomayor, am Fuß 'meines' Högels, in der Nähe des Hafens, mit zunehmendem Alter. Die Rentnerband am Ende durchaus nicht die schwächste. Sie spielten eine Musik, die Cueca heißt, und die es nur in Chile gibt. Viel Power, schnelle Vier- und Dreivierteltakte. Und alle tanzen, Junge und Alte. Balzritual mit komplizierten Schritten und Sprüngen. Tänzer und Tänzerin schwenken je ein weißes Taschentuch. Obligatorisches Requisit, ohne welches es nicht geht. Die Frau ist durchaus gleichberechtigt

Am Sonntag um Mittag zunächst eine szenische Lesung aus einem Buch von... Ruben Darío und einem Mann, der E. Poirier hieß. Ruben war als junger Mann in Valparaiso.Mit diesem Poirier zusammen schrieb er 1887 einen Roman: Emilie. Herzschmerz wahrscheinlich. Ein Feuerwehrmann rettet eine jungen Engländerin aus den Flammen. Unglücklicherweise ist sie unglücklich verheiratet. Der Gatte, ein Ekel, bringt jemanden um usw. Ruben Dario hat später keine Romane mehr versucht, der Poiriers hat einen ganz normalen bürgerlichen Beruf gewählt und ist nicht weiter bekannt geworden. Ruben hat aber 1888 auch in Valparaiso seinen ersten Band mit Lyrik veröffentlicht, der die spanischsprachige Literatur revolutionierte. Eine schöne Inszenierung und am Ende, ich dachte, ich höre nicht recht, las der Schauspieler noch vor: Margarita está linda la mar. Ich erzählte ihm von Sergio Ramirez und meinen Übersetzungsversuchen. Ramirez war ihm kein Begriff. Ich habe die Texte noch einmal ausgegraben. Es lohnt sich, das Gedicht noch einmal (oder zum ersten Mal) zu lesen und auch die Geschichte von Daríos Ankunft in Corinto: deutsch und spanisch.

Nach der Lesung schöne Gitarrenmusik. Am Abend dann Karnevalszug und ab 22.00 Uhr Abschlussfest in einem Park. Die ganze Stadt und das Umland auf den Beinen. Eng war's. Heute Morgen (ich schreib das am 31. Dezember) kaufte ich mir El Mercurio (die FAZ oder WELT von Chile). Da beklagt sich eine geplagte Bewohnerin des Stadtzentrums öber den Lärm und den Schmutz. Und sogar Drogen seien konsumiert worden. Ich fand eher: man kann auch ohne Kölsch Karneval feiern.

xx



Ich mochte von den Wagen, die dort aufgestellt wurden, vor allem diesen: Er ist wunderbar respektlos: Der Typ, der aus dem Fenster hängt (kotzt?), die Allende-Ikone an der Wand (Allende ist bei allem geschuldeten Respekt, und der ist riesengroß, auch eine Ikone) und die andere Ikone vorne am Schiffsbug: Marx und eine Heilige Theresa aus den Anden































Sie hatten wundervoll ausdrucksvolle Riesenfiguren, die im Zug mittanzten. Sie sprechen für sich, obwohl sie vielleicht auch konkrete Anspielungen oder Geschichten transportieren.

Die eine oder andere 'Maske' hätte in Köln wohl keine Chance; nicht in der Kälte und nicht vor dem strengen Auge des Festauschusses.